Mit dem Wasser ist Harry Schulz schon seit seiner Kindheit verbunden. Aufgewachsen ist er in Emmerich am Rhein – schon früh war er mit dem Kanu auf dem Fluss unterwegs, zum Teil bis in die Niederlande. Heute ist er begeisterter Segler und hat das Ruderhaus in Rees wieder restauriert.
Die meiste Zeit beschäftigt er sich aber in anderer Hinsicht mit dem Wasser. Denn seit dem 1. Mai 2023 ist er Deichgräf im größten nordrhein-westfälischen Deichverband Bisslich-Landesgrenze. Dieser ist zuständig für den Hochwasserschutz in der deutsch-niederländischen Grenzregion. Rund 70 000 Menschen werden durch 45 km Deiche geschützt. Von diesen 45 km müssen 15 km akut saniert werden. Eine von Harrys Aufgaben.
Schon seit 2007 engagiert er sich an der Spitze des Deichverbandes – zunächst als Stellvertreter, nun steht er dem Deichverband als Deichgräf vor. Der Deichverband ist ehrenamtlich organisiert. Die ehrenamtlich Tätigen werden unterstützt von Hauptamtlichen, die die Verwaltung und Planung organisieren.
Alles, was der Deichverband macht, finanziert er über die Gebühren der Anwohnenden. Die Menschen, die im Einzugsgebiet des Deichverbandes leben und von seinem Hochwasserschutz profitieren, sind automatisch Mitglieder. Sie haben Stimmrecht und müssen die Deichgebühren zahlen. Die Sanierung eines Kilometers Deich kostet 5 Mio. Euro – etwa 80% werden vom Land subventioniert. Doch bis der Deichverband diese Förderung erhält, ist es ein weiter Weg: Bis zu zehn Jahre müsse er warten, um den Neubau eines Deichabschnitts genehmigt zu bekommen. Von der Verwaltung der Bezirksregierung wünscht Harry Schulz sich deshalb eine Beschleunigung der Planungsvorhaben.
Einen Deichabschnitt hat die Bezirksregierung nun bewilligt. Aktuell läuft eine europaweite Ausschreibung für den Bau von 4,5 km Deich. Ende Juni will der Deichverband den Auftrag vergeben und dann mit dem Bau starten. Zum Hochwasserschutz gehören zusätzlich zu den Deichen auch 550km Gewässer und Gräben im Hinterland hinter den Deichen. Über diese Landwehr wird so überschüssiges Wasser in den Rhein geleitet.
Das Hochwasser ist immer im Hinterkopf
Der Blick vom Deich über den Biener Altrheinarm offenbart eine wahre Idylle. Störche fliegen über das Röhricht und aus dem kleinen Waldstück am Ufer ruft ein Kuckuck. Alles ist grün, die Wiese voller Butterblumen. So friedlich der Blick vom Deich auch ist, Harry Schulz weiß, dass der Rhein Gefahren birgt. Das letzte Hochwasser gab es auf dem Gebiet des Deichverbandes Bisslich-Landesgrenze im Jahr 1995. In den Niederlanden wurden damals Menschen und Tiere evakuiert. Auch wenn das Ausmaß in Deutschland nicht so groß war, erinnert sich der 70-Jährige noch lebhaft an die Katastrophe. Gerade deshalb ärgert es ihn, dass nicht mehr Menschen ein Bewusstsein für die Gefahr des Hochwassers haben. Zu seiner Bestürzung ist dieses Bewusstsein trotz der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 nicht gestiegen.
Ein Hochwasser in der Region hätte weitreichende Auswirkungen. „Wenn bei uns der Deich bricht, steht das Wasser innerhalb von etwa 25h in Zwolle und Appeldoorn“, erklärt Schulz. In einem Video auf der Homepage des Deichverbandes wird das grafisch nachvollzogen. Gerade deshalb sei die Zusammenarbeit mit den niederländischen Kolleginnen und Kollegen so wichtig. Schließlich sei man im Katastrophenfall vom Hochwasserschutz der anderen abhängig.
Der erste sozialdemokratische Deichgräf
Die Tradition des Deichbaus trägt sich seit 600 Jahren fort. Das Wissen um Technik und Landschaft wird seit Generationen weitergegeben. Neuerungen gibt es trotzdem: Deiche sind heute mit 60 m doppelt so breit und 70 cm höher als früher. Und diese Maße behalten sie auch fürs erste, denn die Deiche, die Harry heute baut, baut er für die kommenden 500 Jahre.
Diese Arbeit erfordert viel Expertise – nicht nur der hauptamtlichen Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle, sondern auch der ehrenamtlichen Amtsträger*innen im Erbenrat und Deichstuhl. Diese Expertise sei durch Behörden, wie die Bezirksregierung, nicht zu stemmen, sagt der Deichgräf. Als gelernter Techniker ist es ihm leicht gefallen, sich in die Themen einzuarbeiten. Vor ihm hätten vor allem Großgrundbesitzer und Landwirte das Amt übernommen. Er ist der erste Deichgräf, der zugleich SPD-Mann ist. Dass Deichbau und Sozialdemokratie gut harmonieren, steht für Harry außer Frage: „Ich bin ja nicht von ungefähr zur SPD gekommen. Ich war Betriebsratsvorsitzender. Ich habe mich immer für Menschen eingesetzt. Das steckt in meiner DNA. Ich kann gar nicht anders“, schmunzelt der 70-Jährige.